Mein Kampf gegen den Krebs

mystory2010

Geboren bin ich am 8. Juni 1985. Mit 15 Jahren beendete ich die Hauptschule und begann eine anfangs wenig erfolgreiche Ausbildung als Zerspanungsmechaniker. Zwischen 2001 und 2002 sollte sich in meinem Leben dann einiges ändern. Nach einer erfolglosen Kur als Elfjähriger und ständigem Mobbing aufgrund meines Körpergewichtes von 105 Kilo musste ich einfach etwas für mein Selbstvertrauen tun und entschied mich, Ausdauersport zu treiben. Anfangs konnte ich keinen einzigen Kilometer joggen und mein Vater rannte mir davon. Aber schnell entwickelte ich den bis heute erhaltenen Ehrgeiz und konnte 25 Kilo abnehmen und auch meine Ausbildung 2004 erfolgreich beenden. 2006 absolvierte ich meinen ersten Halbmarathon in Würzburg. 2007 zog ich mit meiner damaligen Freundin in die Schweiz und absolvierte in den folgenden zwei Jahren kleinere Wettkämpfe im Joggen und auf dem Mountainbike.

2009 war dann das alles verändernde Jahr. Ich fasste den Entschluss, meinen ersten Marathon zu laufen. Von Januar bis Mai trainierte ich sehr intensiv und konnte am 24. Mai 2009 den Marathon erfolgreich unter vier Stunden beenden. Danach machte ich noch ein paar Bergläufe, bei denen auf Strecken von 10 km teilweise über 1000 Höhenmeter überwunden werden mussten.

Berglauf Haldi (Schweiz), Juni 2009

Am 27. Juni machte ich mich mit vier Kollegen auf den Weg zum Frankfurter Flughafen, um von dort nach Gran Canaria zu fliegen; zum Männerurlaub, mit allem was dazu gehört. :-)) In der Nacht vom 2. auf den 3. Juli feierten wir in den 25. Geburtstag meines besten Freundes rein. Am darauffolgenden Nachmittag passierte es dann. Neben zwei Freunden legte ich mich an den Pool im Hotel Escorial und bekam einen epileptischen Anfall. Meine Freunde reagierten zum Glück intuitiv richtig und zogen mich von meiner Liege herunter, so dass ich flach im Gras lag. Keiner wusste was los war.

Ich persönlich weiß nur noch, dass ich mich zum Schlafen auf die Liege gelegt habe. Das nächste woran ich mich erinnern kann ist, dass ich im Bett im Krankenhaus Clinica Roca in San Augustin aufgewacht bin, mit Händen und Füssen ans Bett gefesselt. Dann kam Alain zu mir, ein Dolmetscher im Krankenhaus, und erklärte mir, dass ich einen epileptischen Anfall hatte und meine Freunde auf dem Heimflug seien, mein Vater sich aber auf dem Weg zu mir befände. Fünf schier endlos lange Tage begannen. Ich möchte nicht wissen, was ich dort ohne meinen Vater gemacht hätte, der mich unter anderem mal schnell (verbotener Weise) im Rollstuhl in den benachbarten Supermarkt schob. So konnte ich mich wenigstens kurzfristig mit „genießbaren“ Lebensmitteln verpflegen. Langweilig wurde es uns jedoch nicht. Da ich sehr starke Medikamente bekam, konnte mir mein Vater vormittags, mittags und abends drei Mal die selben Geschichten erzählen, da ich in diesen Tagen fast alles schnell vergessen habe.

1. OP, Zürich, 13. Juli 2009

Zum Glück war ich zu der Zeit Mitglied bei der REGA, einer Schweizer Rettungs- fluggesellschaft. Da man mich für flugunfähig erklärt hatte, durfte ich nicht so einfach nach Haus fliegen. Schließlich flog eine Ärztin der REGA aus der Schweiz zu mir nach Gran Canaria, in ihrer Begleitung durfte ich am 8. Juli mit der Edelweiss Air in die Schweiz nach Zürich fliegen. Dort wurde ich direkt mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus nach Zürich gebracht. Direkt zum MRT und auch direkt in Quarantäne, da damals die Schweinegrippe umging. Am Tag danach kam ein Arzt zu mir und sagte, dass ich einen Hirntumor hätte und ging wieder zur Tür hinaus. Das hat gesessen! Nun wusste ich erstmal Bescheid und stand verzweifelt in meinem Zimmer. Operiert wurde ich dann am 13. Juli 2009.

Danach war man sich erst unsicher, ob der Tumor gutartig oder bösartig war. Nach Abklärungen mit dem Tumorzentrum in Bonn entschied man sich, dass der Tumor gutartig war. Ich kämpfte ich mich wieder sportlich heran und arbeitete wie bisher als Mechaniker in der Schweiz. Im Sommer 2010 kam einem Freunde die Idee, an einem Triathlon teilzunehmen. Die Idee und der Traum vom Ironman war geboren. Zu dieser Zeit kam auch die damalige Chefin des Fitnessstudios Factory Fitness in Einsiedeln auf mich zu und fragte, ob ich nicht bei ihr anfangen möchte zu arbeiten. Die Idee als Fitnesstrainer zu arbeiten war geboren. Ab Herbst 2010 arbeitete ich als Fitnesstrainer in Einsiedeln, bis zu meinem Umzug zurück nach Deutschland im April 2013.

Half-Ironman, Rapperswil, 5. Juni 2011

An einer Weihnachtsfeier 2010 lernte ich Rainer Grab kennen, Besitzer eines Swisscom-Shops in der Schweiz. Rainer ermöglichte mir dank des Sportförderprogramms „Golden Talents“ der Swisscom meine zwei bisher eindrucksvollsten Wettkämpfe. 2011 und 2012 durfte ich als Team-Captain unser Team „Natel TV Grab durch den Gigathlon in der Schweiz führen. 2011 absolvierte ich als Läufer den Wettkampf, welcher mich auf die Plaine Morte sowie den Gornergrat in luftige Höhen auf 2953 bzw. 3089 Meter führte. Dies waren ganz besondere Erlebnisse. 2012 radelte ich in zwei Tagen auf dem Rennrad für unser fünfköpfiges Athletenteam „Team of Five“ quer durch hügelige Schweiz. Im Frühjahr 2011 absolvierte ich die ersten Triathlons, im Sommer 2011 einen Half-Ironman. Ich hatte super Zeiten und war auf dem Sprung in ein Racing-Team.

Gigathlon, Juli 2012

Gigathlon, Juli 2011

Bis zum zweiten Tag X. Am 30. Dezember 2011 in der Tumorsprechstunde bei Dr. Kryenbühl in Zürich stellte sich heraus, dass wieder ein Tumor gewachsen war. Am 17. Januar 2012 wurde ich ein zweites Mal operiert. Bei den Gewebsuntersuchungen wurde festgestellt, dass der Tumor dieses Mal bösartig war. Ich musste selbst entscheiden, ob ich mich einer Chemotherapie oder Bestrahlungstherapie unterziehen sollte. Ich entschied mich zur Strahlentherapie – 33 mal Bestrahlen von Februar bis April.

2. OP, Zürich, 17. Januar 2012

Während der Bestrahlungszeit hatte ich noch mit einem bakteriellen Infekt im Hals zu kämpfen, der das Sprechen unmöglich machte, sowie einen Magen-Darm-Infekt, der mich teilweise beide Körperöffnungen gleichzeitig entleeren ließ. Beides war nicht vergleichbar mit anderen Erkrankungen dieser Art, da das Immunsystem durch die Bestrahlung derart geschwächt war. Bis zum Ende des Jahres kämpfte ich mich außerdem mit verschiedenen Krankheiten herum. 2013 intensivierte ich meine Bemühungen, um mich zum Fitnessfachwirt weiterzubilden. Entsprechend machte ich nur ein paar kürzere Wettkämpfe. Im Sommer 2014 absolvierte ich erfolgreich die Prüfung zum Fitnessfachwirt. Danach meldete ich mich zum Ironman 2015 in Frankfurt an. Das Training wurde intensiviert und bis Oktober war ich schon in guter Form.

Dann erfolgte eine Tumorkontrolle in Wertheim, bei der festgestellt wurde, dass eventuell wieder ein Tumor gewachsen war. Die Wintermonate trainierte ich mit einem unguten Gefühl, dass sich im Februar 2015 bestätigen sollte. Bei der Tumorkontrolle wurde ein Wachstum des Tumors festgestellt. Zwei Wochen später in Würzburg wurde es bestätigt. Eine dritte Operation war nun unausweichlich. Mit Hilfe von meinem OP-Arzt aus Zürich und einem befreundeten Spezialisten aus der Uniklinik Münster entschieden wir uns, die OP bis nach dem Ironman im Sommer zu verschieben, da der Tumor noch relativ klein war. So trainierte ich weiter durch das Frühjahr und machte super Fortschritte. Als Höhepunkt der Vorbereitung nahm ich an einem zweiwöchigen Trainingslager in Mallorca teil, bei dem ich viele sehr nette Menschen kennenlernen durfte. Ich war wieder einmal in guter Form und bereit für den Ironman.

Mallorca, April 2015

Vier Tage nach dem Trainingslager, am 30. April, war wieder Tumorkontrolle in Wertheim. Hier wurde festgestellt, dass der Tumor überraschend schnell und groß gewachsen war. Aus der Traum. Die OP musste möglichst schnell über die Bühne gehen. Der erste Wunsch war natürlich, wieder in Zürich operiert zu werden. Aber da machten mir leider die lieben Krankenkassen einen Strich durch die Rechnung. Keine Kostenübernahme möglich. Also ging die Suche nach einer Klinik weiter und die Wahl fiel auf Heidelberg.

Am 22. Mai wurde ich in Heidelberg operiert. Fünf Tage später durfte ich bereits das Krankenhaus verlassen. Die Genesung verlief sehr gut, bis zum 3. Juni. Beim Naseputzen lief mir plötzlich Wasser aus der Narbe, als ich und meine damalige Freundin, die mir in dieser Zeit wie keine zweite Person zur Seite stand, in einem Hotel im Bayerischen Wald einchecken wollten, um ein paar Tage zu entspannen. Als erstes fuhren wir nach Degendorf ins nächstgelegene Krankenhaus. Dort konnte uns leider nicht geholfen werden, so fuhren wir weiter nach Regensburg in die Uniklinik.

3.OP, Heidelberg, 25. Mai 15

3.OP, Heidelberg, 25. Mai 2015

Dort kam ich gleich in die Notaufnahme. Es wurde schnell entschieden, dass ich erneut operiert werden müsste, da ich ein deutliches Liquor-Leck hatte und viel Nervenwasser über die Narbe verlor. Am Vormittag des 4. Juni wurde ich ein viertes Mal operiert. Am 8. Juni, an meinem 30. Geburtstag durfte ich wieder nach Hause. Genau 100 Tage nach der dritten Operation habe ich schon wieder erfolgreich an meinem ersten Wettkampf, dem Fuschlseelauf in Österreich, teilgenommen.

Die darauffolgende Chemotherapie verlief natürlich wieder einmal nicht nach Plan. Sie musste schon das ein oder andere Mal aufgrund schlechter Blutwerte unterbrochen werden. Bei der ersten Nachkontrolle im Oktober hat man einen kleinen weißen Rand entdeckt und geht davon aus, dass es Narbengewebe sei, dass sich wieder auflöst – kein erneuter Tumor. Der Befund galt als stabil.

Training, Hafenlohrtal, 20. Dezember 2015

Radtour im Hafenlohrtal, 20. Dezember 2015

Das nächste Trainingslager war bereits gebucht und das Ironman-Training ging auch während der Chemo weiter.

Juni 2016: Ein kleiner, auffälliger Fleck, der bei der Kontrolle im April als Tumor vermutet wurde, war tatsächlich wieder als solcher bestätigt. In Heidelberg wurde festgestellt, dass sich wieder aktives Tumorgewebe in meinem Kopf befindet. Die erneute negative Diagnose war sicherlich auch für mich erst einmal ein Schock. Am 13. Juni ging es nach Heidelberg zum Planungs-MRT und -CT sowie zur Erstellung einer Bestrahlungsmaske, bevor es dann dort am 23. Juni mit der Schwerionenbestrahlung losging. Der Start am Ironman war dadurch erstmal nicht in Gefahr, auch wenn es sicher nicht einfacher wurde. Und trotzdem…

Mit 11:50:10 durchs Ziel!  – Der Ironman in Frankfurt

3. Juli 2016: Nach 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer auf dem Rad, und einem 42,2 Kilometer Marathon ging’s nach 11:50:10 am Sonntagabend durchs Ziel. Großen Dank an ALLE, die mich vor und während des Ironman so grandios unterstützt haben!

Du kannst das Handtuch werfen…

…oder dir damit den Schweiß aus dem Gesicht wischen. – Auch als die Krankheit nach seiner Ironman-Teilnahme mehr als zuvor seinen Alltag bestimmte, hat sich Alex, getreu seines Mottos, dem Tumor in seinem Kopf nicht gebeugt. Er hat sich der Herausforderung gestellt und sein Leben gemeistert – inklusive leidenschaftlichen Trainings. Alex stand mit „Mut, Wille und Kraft“ für das Leben. Am vergangenen Samstag, den 10. Juni 2017, hat Alex trotz allem den Kampf gegen den Krebs verloren.

Es war Alex‘ Wunsch, ihn ohne Trauer gehen zu lassen. Vielmehr sollen seine Unternehmungen mit Familie, Freunden und Bekannten im Vordergrund stehen. Es wäre ganz in seinem Sinne, wenn ihr ihn durch die schönsten, einprägsamsten Begegnungen mit ihm in Erinnerung behaltet.